SCHIENE regional - Bahnthemen Südwest

© 2020 by Frank-D. Paßlick, Biberach/Baden
 

Der "Stadtbahnpapst"

Eine Hommage auf Dr. h. c. Dieter Ludwig

 

von Frank-D. Paßlick
 

16. Juli 2020: Dr. h. c. Dieter Ludwig lebt nicht mehr.

Sein Nachlass wird über Jahrzehnte Bestand haben, zu unserem Wohl und dem späterer Generationen.

Dieter Ludwig - Foto: f-dpa Passlick Dr. h. c. Dieter Ludwig hat seinen Ehrendoktor vom Karlsruher Institut für Technologie, kurz KIT, erhalten - der Autor nimmt sich an dieser Stelle heraus, die Buchstabenfolge umzudeuten in "König intelligenter Traktion." Einen Tag nach seinem 81. Geburtstag ist Dr. Dieter Ludwig am 16. Juli 2020 gestorben. In der Region in und um Karlsruhe kennt jeder "den Ludwig" und assoziiert mit seinem Namen "Nahverkehrspapst" und "Mehrsystem-Stadtbahn."

Ludwig bewies jeder Situation Einfallsreichtum, Überzeugungskraft und Duchhaltevermögen zur Bewältigung vieler Mammutaufgaben, die er sich oft selbst aufgehalst hatte. Die Einführung der Zweisystem-Stadtbahn entpuppte sich als hoch komplexe Aufgabe - alles andere, als die rasche Umsetzung einer genialen Idee. Auf dem steinigen Weg zum Erfolg ergaben sich viele Fußfallen - hier seien nur die Stichworte Laufflächen der Radreifen oder Kombination der Fahr-, Leit- und Sicherheitssysteme für Straßen- und Eisenbahnverkehr genannt.

Stromschiene als Tunneloberleitung im Murgtal. Foto: f-dpa Passlick Die Ausdehnung des elektrifizierten Netzes, zum Beispiel von Rastatt auf der Murgtalbahn bis Freudenstadt Hbf und weiter bis Eutingen im Gäu, entwickelte sich zu Ludwig Husarenstück. Ingenieurstalent (Bsp. Tunnelfahrleitung auf der Murgtalstrecke) und Diplomatie beim Umgang mit politischen Entscheidern waren seine absolute Stärke. Sein Vorschlag gegenüber dem Aufgabenträger "...die notwendige Energie- zuführung zur Einspeisung in die Murgtalstrecke, vom Unterwerk Eutingen im Gäu nach Freudenstadt, führen wir einfach vom Bf Eutingen über die Gleismitte der vorhandenen Bahnstrecke - und schon ist auch diese, als Nebeneffekt, elektrifiziert". - Das war echt Ludwig! Der damalige Verkehrs-Staatssekretär Rudolf Köberle konnte nur zustimmen...

Das Foto links: Die Elektrifizierung im Tunnel, dessen Profil nicht dafür ausreicht, ist eine besonders Herausforderung, wenn unmittelbar auf den Tunnel eine Brücke folgt. Ein Tieferlegen der Gleise im Tunnel ist dann nicht möglich. Ludwig wagte das Experiment mit einer Stromschiene als feste Oberleitung im Tunnel - und war erfolgreich damit. Der Übergang von der Stromschiene auf die Regelfahrleitung ist auf dem Foto zu erkennen.

Am 13.12.2003 wurde der Stadtbahnbetrieb auf dem oberen Abschnitt der Murgtalbahn zwischen Forbach/Raumünzach und Freudenstadt-Stadtbahnhof feierlich eröffnet.

Schon seit Mitte der Siebzigerjahre war Ludwig Geschäftsführer der Verkehrsbetriebe Karlsruhe und der AVG (Albtalbahn-Verkehrs-Gesellschaft). Am 1. Oktober 2000 begann eine neue Ära des Schienenverkehrs im Murgtal. Die Deutsche Bahn AG verabschiedete sich lustlos von der anspruchsvollen Strecke und verpachtete sie für 25 Jahre an die AVG. Neben der o. g. Elektrifizierung erfolgte eine Gesamtsanierung der Strecke, der Bau von Doppelspurinseln zur "fliegenden Kreuzung" von sich begegnenden Zügen und eine "Aufhübschung" von betriebswichtigen Bahngebäuden und Anlagen.

Foto rechts: Bei der feierlichen Einweihung des Abschnitts Rastatt - Forbach stehen Dieter Ludwig und Staatssekretär Ralf Nagel vom Bundesverkehrsministerium auf dem Bahnsteig in Gaggenau. Das Symbol des Tages ist aber der angelegte Stromabnehmer des Stadtbahnzugs an der nagelneuen Fahrleitung.

Dieter Ludwig und Ralf Nagel, Foto f-dpa Passlick

"Wo wir sind ist Leben!
Wo wir hinfahren ist die Welt
in Ordnung,"
sagte der Stadtbahnpapst Dr. Dieter Ludwig während der Fahrt zur Einweihungsfeier nach Forbach zum Autor dieser Seiten. Ziemlich kritisch schaut er dann allerdings, wie Staatssekretär Stefan Mappus vom Umwelt- und Verkehrsministerium Baden-Württemberg den Eröffnungzug eigenhändig über die aufgearbeitete und neu elektrifizierte Strecke durch das wildromantische oberen Murgtal fuhr.

Dieter Ludwig mit Tf Mappus. Foto: f-dpa Passlick  
Triebfahrzeugführer Stefan Mappus unter strenger Überwachung von Dieter Ludwig.
Fahren ging schon ganz gut. Bremsen muss noch etwas geübt werden... Später, als Ministerpräsident, wurde dann Mappus, nach wilder Irrfahrt, selbst ausgebremst.

Aber auch Dieter Ludwig ließ es sich nicht nehmen, ab und zu als Tramfahrer seine Züge durch die Karlsruher Innenstadt zu führen. Auch das war ein Zeichen der Bodenhaftung, die Ludwig trotz aller Höhenflüge und Erfolge nie verloren hat.

Mit der Übernahme des Betriebs auf der DB-Strecke zwischen Karlsruhe und Bretten begann die Erfolgsgeschichte, die Dieter Ludwig immer mit dem Worten zusammenfasste: "Wir müssen die Leute von Zuhause abholen" - mit einem attraktiven Angebot auf der Schiene. Während die Deutsche Bundesbahn in den Achtzigerjahren auf manchen Verbindungen mit uralten Fahrzeugen gerade noch einige Alibi-Zugpaare für den Schülerverkehr fahren ließ, oft parallel zum Busverkehr, sorgte Ludwig, als 1992 die erste Zweisystem-Stadtbahnlinie zwischen der Karlsruher Innenstadt und Bretten eröffnet wurde, für ein ganztägiges Angebot auf der Schiene. Soweit es realisierbar war, wurde in einem gut merkbaren Taktverkehr gefahren - auch am bisher sträflich vernachlässigten Wochenende. Und die neuen Angebote mit neuem Fahrplan und neuen Zügen wurden innerhalb kurzer Zeit so intensiv angenommen, dass Fahrzeug- und Trassen-Engpässe entstanden. Statt 2000 täglichen Fahrten vor Beginn der Stadtbahnzeit zwischen Karlsruhe und Bretten, wurde das neue Angebot wenig später im Durchschnitt für täglich 18.000 Fahrten genutzt. Im hochbelasteten Raum Karlsruhe wechselten viele Pendler von der Straße auf die Stadtbahn. Ein überwältigender Erfolg, der Schule machte und Nachahmer animierte. Das "Karlsruher Modell" wurde über alle Grenzen hinweg ein Vorbild für die Integration von Umlandverkehr auf der Schiene und herkömmlichem "Straßenbahn-Stadtverkehr."

Inzwischen ist das Netz der von Karlsruher Stadtbahnzügen befahrenen Strecken sehr groß: 121 Zweisystem-Stadtfahrzeuge fahren auf 663 km Streckenlänge. Einige Beispiel: über Bretten - Heilbronn bis Mosbach im Odenwald und Sinsheim; nach Odenheim, Menzigen und Öhringen; Über Pforzheim bis vor die Tore Stuttgarts in Bietigheim Bissingen, sowie in den Nordschwarzwald nach Bad Wildbach; die ursprüngliche AVG-Strecke nach Bad Herrenalb (allerdings nicht mit Zweisystem-Fahrzeugen); über Wörth in der Pfalz nach Germersheim; auf der Rheintalbahn bis Achern und durch das Murgtal nach Freudenstadt und weiter auf der alten Gäubahn nach Eutingen und Bondorf.

Das Erbe Dieter Ludwigs wird sich noch weiter ausdehnen. Er hat wesentlich am Rad gedreht und die Bahnwelt verändert. Wir werden ihn nicht vergessen und sagen: Danke!